18. Familientreffen der besonderen Art

KI-generiertes Foto. Eine schwarze Katze mit gelben Augen sitzt aufrecht auf dem weißen Fenstersims eines roten Backsteingebäudes vor einem geschlossenen Fenster.
Ein Foto meiner waghalsigen Aktion, das Socke noch als Beweis geschossen hat, miau.

CN Familie, Kampf

 

Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,

 

im September 2024 war es endlich so weit: Nachdem es uns vor einigen Monaten tatsächlich gelungen war, Nero und seinen kläglichen Rest an Mittieren zu verhaften (=> Hoch im Norden 2), sollte nun endlich der Prozess gegen diese sechs unheilvollen Katzen stattfinden. Unter ihnen befand sich meine Halbschwester Penelope, nur wenig jünger als ich, wie ich mittlerweile erfahren habe. Meine Mutter hatte wahrlich keine Zeit verschwendet, nachdem sie mit Nero abgehauen war, um mich zu ersetzen. Das klingt jetzt bitterer, als ich mich tatsächlich fühle. Egal. Von Penelopes Existenz hatte ich erst bei ihrer Verhaftung erfahren, durch einen Seitenhieb Neros. Seitdem hatte ich sie allerdings erfolgreich verdrängt. Mit dem Thema Familie war ich fertig. Punkt. Aus. Dachte ich.

 

Trotzdem wäre ich natürlich gern dabei gewesen, um hautnah zu erleben, wie Nero verknackt wurde! Doch leider hatte Anna an genau jenem Tag einen Termin mit Uwe, dem neuen chaotischen Sachbearbeiter im Amt. Wie ihr wisst, stehen Anna und Co bei mir immer an erster Stelle – und so hockte ich, statt im Zauberwald den Prozess zu beobachten, außen am Amtsgebäude vor dem Fenster von Uwes Büro auf einem schmalen Fenstersims und passte auf Anna auf. Ja, eine recht waghalsige Aktion für mich. Socke (=> 15. Socke), sowieso tagtäglich im Amtsgebäude unterwegs, hatte mir geholfen, das Sims zu erklimmen, und blieb sicherheitshalber in meiner Nähe, damit ich nicht abstürzte. Meine anfängliche Skepsis ihm gegenüber hatte stark nachgelassen und in jener Situation war er sehr fürsorglich, auf eine angenehm unaufdringliche Art. Wie es mit seinem Auftrag bei Brigitta, der Amtsleitung, läuft, erzähle ich euch lieber in einer eigenen Geschichte; die Ereignisse dieses sonnigen September-Tages sind schon aufregend genug, miau.

 

Der Termin im Amt verlief sehr unbefriedigend, um nicht zu sagen katastrophal, und ich hatte hinterher alle Pfoten voll damit zu tun, mich um Anna und Co zu kümmern, sodass ich den Prozess tatsächlich für einige Stunden vergaß und nicht auf mein magisches Funkgerät schaute. So bekam ich weder mit, dass sich der Beginn des Prozesses arg verzögert hatte, weil Nero einen medizinischen Notfall vortäuschte, noch was sich während des Prozesses ereignete. 

 

Als Anna mit Hilfe von ihrer Bedarfsmedikation und ein bisschen rosa Magie zur Ruhe gekommen war und unter die Gewichtsdecke gekuschelt eine Serie schaute, beschloss ich, mir kurz die Pfoten zu vertreten und etwas Sauerstoff zu tanken. Ich war so unfassbar wütend über diesen Uwe und seine unsensiblen Aussagen, dass ich mal kurz für mich sein musste. Es dämmerte bereits und so unternahm ich nur einen kurzen Gang zu der kleinen Grünanlage, fünf Minuten von unserem Haus entfernt, in der Absicht, dort eine kleine Einheit Katzen-Yoga zu absolvieren. Wenn ich selbst zu aufgewühlt bin, kann ich Anna und Co nicht so gut beruhigen, als wenn ich in mir ruhe, auch wenn es natürlich wichtig ist, dass sie sieht, hört und spürt, dass auch ich das, was passierte, völlig daneben finde. Es braucht Gelassenheit, Anteilnahme und Solidarität, miau, um Anna und Co gut zu unterstützen.

 

 

Nun, ja. Aus meiner kleinen Yoga-Runde sollte nichts werden. Schon auf dem Weg zu der kleinen Wiese kribbelte es unangenehm in meinem Fell. Zunächst schob ich es auf meine Anspannung. Doch an meinem Ziel angekommen, verstärkte sich das Kribbeln und mein Fell stellte sich auf.

Verflixter Feenstaub!

Was war hier los?

Ich schärfte all meine Sinne mit Magie – und begriff es noch im selben Moment: Ich wurde beobachtet – und zwar nicht wie sonst von harmlosen Spaziergänger*innen oder einem Haustier. Nein, meine Sinne registrierten eindeutig ein nicht besonders gut getarntes magisches Wesen.

 

 

KI-generiertes Bild. Kopf einer rotgetigerten Katze mit gelben Augen lugt aus dichtem Blätterwerk hervor. Es ist dunkel und die Athmophäre unheimlich.
Wer lauert da im Gebüsch?

Möglichst unauffällig ließ ich meinen Blick über das Gebüsch am Rande der Wiese gleiten, sah kurz gelbe Augen rechts von mir aufblitzen, da passierte es auch schon:

Ein magischer, grellroter Energiestrahl schlug wenige Zentimeter neben mir ein, eine rotgetigerte Katze sprang aus dem Gebüsch und landete etwa zwei Meter vor mir.

 

„Deine sogenannten Freund*innen haben dich also nicht gewarnt“, fauchte sie. Höhnisch und voller Hass.

 

Sie begann, mich zu umkreisen und zischte dabei: „Ich werde dich töten, werter Halbbruder. Ich werde dich töten.“

 

Jo. Vor mir stand Penelope, meine Halbschwester, Tochter meiner Mutter und Neros. In eindeutig nicht so guten Absichten.

Mein Hirn war wie gelähmt. Tatsächlich dachte ich nur: ‚Aha‘, während ich mich langsam um die eigene Achse drehte, um Penelope im Blick zu behalten, während sie ihre Kreise um mich zog.

 

„Was ist? Willst du nicht wehren?“, fauchte sie mich erneut an.

 

‚Nein‘, dachte ich und sagte es auch. Merkwürdig ruhig in dem Wissen, dass ich mit Magie keine Chance hatte, sie zu besiegen.

 

„Feigling“, stieß Penelope hervor. „Genau wie Nero es immer gesagt hat.“

 

„Ansichtssache“, gab ich trocken zurück und fügte an: „Warum willst du mich töten?“

 

Für einen Moment war sie sichtlich irritiert. Dann brüllte sie los:

„Warum? WARUM?“

 

Zack. Zack. Zack.

 

Sie schoss mehrere Energiestrahlen in meine Richtung, die mich jedoch nicht einmal streiften. Mordanschläge hatte ich mir immer anders vorgestellt.

 

„Ja. Warum?“, ich blieb absurderweise weiterhin gelassen und erwartete als Antwort so etwas wie „Weil du dran schuld bist, dass mein Vater und ich verhaftet worden sind.“ Weit gefehlt.

 

„Warum?“, Penelope rastete aus. „Mein ganzes verdammtes Leben lang hat deine Existenz wie ein Schatten auf mir gelegen. Ich konnte mir von unserer Mutter wahlweise anhören, dass du dieses oder jenes bestimmt viel besser gemeistert hättest oder dass ich genauso eine Versagerin wäre wie du, ihr (ableistisches Schimpfwort)-Sohn.“

 

Reizend, so von der eigenen Mutter benutzt zu werden, um ihre jüngere Tochter zu quälen. Nicht unüblich, in sog. dysfunktionalen Familien, Geschwister gegeneinander auszuspielen, mau.

 

„Und dann mein Vater“, Penelopes Stimme wurde immer schriller. „Nero. Meine Tochter hier. Meine Tochter da. Die meiste Zeit vergötterte er mich. Bis ich wieder einmal einen Fehler machte oder etwas tat oder sagte, was ihm nicht gefiel. Oder einfach atmete – und er sich gerade abreagieren musste.“

 

Sie brach ab. Schmerz flutete kurz ihr Gesicht, bevor sie fortfuhr, mich anzuschreien:

„Hast du eine Ahnung davon, wie es war, mit diesen beiden aufzuwachsen und zusammenzuleben und mitzubekommen, was für ein gutes Leben du hattest?“

Sie zog die Kreise immer enger um mich und mir wurde langsam, aber sicher schwindelig davon, mich permanent um meine eigene Achse drehen zu müssen.

 

Trotzdem antwortete ich. Tonlos:

„Nein. Unsere Mutter hat mich verlassen, da konnte ich gerade mal so auf meinen Pfoten stehen. Aber ich weiß, wie es ist, mit einem sadistischen Mistkerl als Vater aufzuwachsen. Glaub bloß nicht, dass Angelo so viel besser ist als Nero.“

 

Kaum hatte ich den letzten Satz beendet, griff sie an. Nicht magisch, sondern körperlich.

 

Eigentlich war sie stärker als ich. Ja, das ist nicht besonders schwer. Aber ich war wütend, so wütend wie vielleicht noch nie in meinem Leben und konnte tatsächlich ganz gut mithalten. Wir kloppten uns wie zwei Straßenkatzen um ihr Revier, bis wir völlig außer Atem einige Meter voneinander entfernt auf den Boden sanken.  

 

Zerkratzt. Zerbissen. Blutig. Mit erheblich weniger Fell als vorher. Sichtlich erschöpft. Aber nicht ernsthaft verletzt.

Wir rangen beide noch um Luft, als mit einem Mal aus dem Nichts Tasso auf der Wiese landete, etwa zehn Meter von uns entfernt.

 

Erschrocken fuhren wir hoch. Doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, um Tasso die Lage zu erklären, schoss dieser mit einem merkwürdigen Kampfgebell einen Energiestrahl ab. Ich vermute, er wollte Penelope treffen. Aber es war sein erster Außen- und Kampfeinsatz und … nun, ich hoffe, die Laterne auf der anderen Straßenseite war nicht allzu sauer, als er ihre Glühlampe zerschoss.

 

Ich nutzte Tassos Verwirrung darüber und rief ihm zu, dass er die Angelegenheit mir überlassen sollte, bevor er einen zweiten magischen Angriff versuchen konnte. Tasso, nach guter alter Schäferhundmanier, hielt sich prompt daran und setzte sich. So konzentrierte ich mich wieder auf Penelope:

„Warum hast du mich nicht getötet?“

 

Viel zu provokant, wie ich erkannte, als ich die Worte meine Schnauze bereits verlassen hatten. Tatsächlich hatte ich die Frage ernst gemeint, aber Penelope griff mich mit den Worten „Das kann ich immer noch“ erneut an. Wir kloppten uns eine weitere Runde, kürzer, aber noch viel heftiger als zuvor.

 

Ich lag bereits am Boden, als Penelope noch einmal mit der Vorderpfote ausholte und mir mit ihren Krallen das Gesicht zerkratzte.

 

Miauuuu! Das tat scheußlich weh. Immer noch über mir stehend, brüllte meine Halbschwester: „Aber du hattest die Wahl!“ und ließ sich dann ins Gras fallen.

 

Bevor ich etwas erwidern konnte, landete Spring auf der Wiese, direkt neben uns, Reger Verkehr durch die Dimensionen zu dieser kleinen, unscheinbaren Grünanlage. Sie hob sofort eine Vorderpfote an, um einen Magiestrahl abzufeuern, soviel konnte ich blutverschmiert gerade noch erkennen.

 

Im Gegensatz zu Tasso hätte meine Liebste getroffen und so brüllte ich, unter Schmerzen, so laut ich konnte: „Nein. Spring. Bitte nicht.“ Gerade noch rechtzeitig.

 

Spring brach zwar den Angriff ab, doch sie war sichtlich irritiert und vor allem eins: geladen.

„Keine Ahnung, was das soll, Merlin. Ich werde diese Verbrecherin jetzt auf der Stelle verhaften.“

 

Mühselig rappelte ich mich auf und stellte mich zwischen Spring und Penelope.

 

„Bitte, warte“, eindringlich starrte ich Spring an, bis diese unmerklich nickte.

 

Dann wandte ich mich an meine Halbschwester: „Du hast JETZT die Wahl!“

 

„Wie bitte?“, Spring.

 

„Wuff?“, Tasso.

 

Höhnisches Lachen. Penelope.

 

Sie reagierten alle zeitgleich auf meinen Satz. Immer schön, wenn Diplomatie auf so viel Begeisterung stößt, dachte ich sarkastisch, während Penelope erneut in Kampfhaltung ging:

 

„Welche Wahl? Entweder töte ich euch alle auf der Stelle oder ich lande in den Steinernen Gärten. Meinst du diese Wahl?“

 

Okay, Zynismus scheint in der Familie zu liegen. Allerdings ging mir das mit den Todesdrohungen langsam auf die Nerven. Sie hatte mittlerweile fast eine Stunde lang Zeit dazu gehabt, mich ins Land der Ahnen (=> Wissenswertes 2) zu befördern. Ich war mir sicher, dass sie etwas ganz anderes wollte.

 

„Es gibt noch eine dritte Möglichkeit“, wandte ich mich also entschlossen an sie. „Du packst aus. Erzählst uns alles, was du über die Unheilvollen weißt und hilfst uns, Minna und ihre Bande dingfest zu machen.“

 

„Du kannst ihr doch nicht vertrauen“, fauchte Spring.

 

Tasso, eindeutig überfordert von der Gesamtsituation, gab erneut ein unverständliches, bellendes Geräusch von sich.

 

„Hältst du mich für so naiv? Das meinst du doch nicht ernst“, lautete Penelopes Kommentar.

 

„Doch. Ich meine das sehr ernst“, antwortete ich ihr, Spring und Tasso ignorierte ich. 

 

 

KI-generiertes Fantasy-Bild. Eine rotgetigerte Katze springt über graurosaweiße, aufgetürmte Wolken durch das Bild. Im Hintergrund ist die Sonne zu sehen sowie eine Art Feuerbogen vor dunkelblauem Himmel mit Sternen und hellen Stellen.
Dimensionenspringen.

An dieser Stelle greife ich mal vor und erzähle euch, was ich selbst erst im Laufe der Nacht und am nächsten Morgen von verschiedenen Beteiligten erfahren habe: Durch Neros Verzögerungsmanöver war der ganze Zeitplan des Prozesses durcheinandergeraten und erst eine knappe Viertelstunde, bevor ich in eurer Welt in die kleine Grünanlage aufbrach, kam Penelope an die Reihe. Doch kaum war die Anklage gegen sie verlesen, befreite sie sich aus dem Griff des sie bewachenden Gorillas, schoss wild mit Magie um sich und floh mit einem Sprung durch die Dimensionen, jedoch nicht ohne dem bereits verurteilten Nero zuzurufen:

„Ich werde dich rächen, Papa. Und mit diesem elenden schwarzen Kater fange ich an.“

 

Damit war ich gemeint gewesen, miau. Aus irgendeinem Grund hatte sie gewusst, wo ich lebe, traf nur wenige Sekunden vor Annas Haustür ein, bevor ich die Wohnung verließ, und folgte mir. Wie sie hatte fliehen können, obwohl ihre Kräfte doch eigentlich durch einen Zauber nach wie vor hätten geblockt sein müssen?

 

Das können wir nur vermuten. Penelope selbst hatte erst während des Prozesses bemerkt, dass sie wieder über Magie verfügt. Wir glauben, dass ihre sowieso schon sehr ausgeprägten Kräfte durch Jean-Pauls Brüllattacke verstärkt worden waren und der Zauber daher einfach falsch dosiert war und nicht so lange anhielt, wie er sollte.

 

Auf dem Versammlungsplatz im Zauberwald brach daraufhin das totale Chaos aus. Zum Glück hatte Penelope keins ernsthaft verletzt und die Magieblockaden bei den anderen Angeklagten hielten. Spring und Tasso hatten beide versucht, mich über mein magisches Funkgerät zu erreichen, aber das lag zu Hause, genau wie mein Handy. Ich war so beschäftigt mit diesem Termin im Amt gewesen, dass ich beides vergessen hatte mitzunehmen, ergo konnte ich natürlich nicht rangehen. Das machte die Sorge der beiden um mich nicht kleiner, wie ihr euch denken könnt.

 

Spring sprang auf der Stelle zu Anna, um nach mir zu sehen, während Tasso, einer Eingebung folgend, beschloss, es an einem meiner Lieblingsplätze zu versuchen. So kam es, dass Tasso als erster am Schauplatz des Geschehens eintraf. Er schickte Spring eine Nachricht, während ich mich die zweite Runde mit Penelope kloppte. Diese musste jedoch erst einmal kurz Anna und Co beruhigen, die natürlich in Sorge um mich gerieten, und dann über den Zauberwald in die Grünanlage hüpfen und traf daher mit etwas Verzögerung auf der Wiese ein, auf der wir noch immer standen.

 

Ja, Penelope hatte mich grässlich zugerichtet – und dennoch glaubte ich nicht, wie bereits gesagt, dass sie mich wirklich hatte töten wollen. Mein Gefühl sagte mir, dass sie etwas anderes wollte, egal, was sie so von sich gab: eine zweite Chance.

 

„Was hast du denn zu verlieren?“, fragte ich daher. „Selbst wenn du uns jetzt alle drei erledigst – früher oder später wirst du gefasst und landest in den Steinernen Gärten. Oder du bist den Rest deines Lebens ständig auf der Flucht. Allein.“

 

Allein.

 

Das schien das Wort zu sein, das zu ihr durchdrang. Sie zuckte kaum merklich zusammen, als ich es aussprach, sagte aber nichts.

 

Kurzentschlossen nahm ich ihr Schweigen als Zustimmung zu meinem Vorschlag zu kooperieren und fragte Spring, ob sie nach Anna schauen würde, während ich Penelope in den Zauberwald begleiten würde.

 

„Klar“, erklärte sie und fügte wenig begeistert klingend hinzu: „Ich habe eh keine Lust, das alles Maxi zu erklären.“

 

Tasso bat ich, zu sich nach Hause zu laufen und Hanne zu holen. Penelopes und vor allem meine Verletzungen mussten dringend versorgt werden. Im Moment brachte zumindest ich nicht die nötige Energie für einen Sprung in den Zauberwald auf.

 

„Und wenn sie abhaut oder dich doch noch tötet, während ihr hier allein seid?“, Springs unwirscher Tonfall war einem sorgenvollen gewichen.

 

„Wird sie nicht“, sagte ich bestimmt und so brachen die beiden sichtlich unwillig auf.

 

Da saßen wir nun. Allein. Meine Halbschwester und ich. Und mir wurde klar, dass das Thema Familie für mich wohl doch nicht so abgeschlossen war, wie ich geglaubt hatte. Wenn ich ehrlich mit euch und vor allem mir bin, hatte ich mir mein Leben lang ein Geschwister gewünscht, vor allem als Katzenkind. Natürlich weiß ich heute, dass Geschwisterbeziehungen in dysfunktionalen Familien, in Familien, in denen Gewalt herrscht, sehr, sehr schwierig sein können – und es manchmal keinen anderen Weg gibt, als den Kontakt zueinander zu kappen, vor allem wenn es sich um Geschwister handelt, die (noch) täter*innenloyal sind. Und doch kennen viele von euch sicher diese Sehnsucht nach Verbündeten, die gemeinsam aufgewachsen sind. Ging es Penelope ähnlich? Sie war mit dem Satz geflohen, Nero zu rächen und doch …

 

Noch einmal fragte ich: „Warum hast du mich nicht getötet?“

 

„Ich konnte es nicht“, antwortete sie leise.

 

Mehr hat sie bis heute nicht dazu gesagt. Vielleicht versteht sie es selbst noch nicht, daher lasse ich es, mich hier in Spekulationen zu ergehen, was dazu geführt haben könnte, dass ich immer noch putzmunter unter den Lebenden weile.

 

Wir schwiegen, bis Tasso mit Hanne auftauchte, ließen uns verarzten und sprangen dann in den Zauberwald.

 

Kaum waren wir gelandet, stürzten sich Maxis drei Brüder auf Penelope, um sie erneut gefangen zu nehmen. War wohl keine so gute Idee gewesen, direkt vor Maxis Hütte zu landen, denn dort lungerten die drei eigentlich immer herum.

 

„Lasst sie sofort wieder los“, brüllte ich sie an, im selben Moment, in dem Maxi aus der Tür schoss. Und ebenfalls brüllte: „Bringt sie sofort in die Steinernen Gärten!“, gefolgt von einem panischen Schrei Penelopes. Sie kämpfte gegen die Gorillas, allerdings ohne Magie.

 

„Wohl kaum“, fauchte ich Maxi an, „oder wurde sie bereits verurteilt? Verbannen wir jetzt schon ohne Urteil? Dann sind wir nicht besser als die Unheilvollen!“

 

Das brachte die wutschnaubende Maxi tatsächlich zur Besinnung und sie gab ihren Brüdern ein Zeichen, Penelope loszulassen.

 

„Lass uns kurz unter vier Augen reden“, bat ich die Vorstandsvorsitzende. „Penelope wird nicht abhauen in der Zeit.“

 

Zögerlich willigte sie ein und wir gingen in ihre Hütte, wo ich ihr erzählte, was sich zugetragen und welches Angebot ich Penelope unterbreitet hatte.

 

„Dazu warst du nicht befugt“, war das Erste, was sie sagte. Und hatte in der Tat damit Recht. Ich nickte stumm und überließ sie ihren Gedanken. Maxi muss eins Zeit lassen, eine Entscheidung zu treffen. Unter Druck neigt sie zu Überreaktionen.

Naja, wer nicht.

 

Schließlich sah sie mich an: „Wenn sie uns wirklich hilft, wenn sie kooperiert, hätten wir mehr davon, als wenn sie in den Steinernen Gärten sitzt. Warten wir das ab. Wir werden morgen früh mit dem Verhör beginnen.“

 

„Danke“, mehr gab es jetzt nicht dazu zu sagen. „Wir schlafen in Springs Hütte, einverstanden?“ Die Gorilladame nickte erstaunlicherweise auch das ab und so führte ich Penelope in Springs kleines, aber gemütliches Zuhause.

 

Dort angekommen, fragte mich Penelope spöttisch-provokant: „Und du hast wirklich keine Angst, dass ich abhaue oder dich im Schlaf doch noch abmurkse?“

 

Ich seufzte. Natürlich. Ein Schritt vor, zwei zurück. Zum Glück bin ich sowohl das als auch diesen Tonfall von einem Innen-Teenie von Anna gewohnt und schaffte es, ruhig zu bleiben.

 

„Penelope“, setzte ich an, wurde jedoch von einem gefauchten: „Nenn mich nicht so!“ unterbrochen.

 

„Okay. Wie dann?“

 

Schweigen.

 

„Wäre Penny in Ordnung?“

 

Sie nickte, zögernd.

 

„Also, Penny, wir haben dieselbe Mutter, die uns beide, wenn auch in sehr unterschiedlicher Form im Stich gelassen hat. Wir habe beide einen sadistischen Vater. Und ja, du hast Recht, ich hatte die besseren Bedingungen, da ich zumindest nicht in einer Bande Unheilvoller aufwachsen musste. Aber auch ich musste mich irgendwann entscheiden, welchen Weg ich einschlage. Wie wir alle. Und bislang, unter Neros Herrschaft, hattest du diese Wahl nicht. Aber jetzt sitzt er auf immer in den Steinernen Gärten. Jetzt bist du frei und hast die Wahl. Jetzt kannst du dich für das Richtige entscheiden.“

 

Dann drehte ich mich um, ließ mich in Springs Bett fallen und schlief auf der Stelle ein.

 

Nun, was soll ich sagen? Penny war am nächsten Morgen noch da. Ihr glaubt nicht, wie erleichtert ich war. Nach einem schnellen Frühstück brachte ich sie zu Maxi. Ihr würden tagelange Verhöre bevorstehen und ich hoffte sehr, dass sie kooperieren würde. Ich entlastete Maxi in der Zeit, indem ich mit Tasso und Joy, ihre beiden Azubis, einfache Zauber übte und mit Tasso das Zielen trainierte. Meine Aufgaben bei Anna übernahm derweil Spring. Ich konnte nicht nach Hause, zum einen wollte ich Penny nicht allein lassen, zum anderen mussten meine Wunden erst einmal verheilen. Anna und besonders die Kleinen würden sich sonst zu sehr erschrecken.

 

Die Abende und Nächte verbrachte ich mit Penny in Springs Hütte. Wir sprachen wenig miteinander; Penny war sichtlich erschöpft von den Gesprächen mit Maxi, Pat, Konrad und dessen neuen Stellvertreter Anton. So sorgte ich vor allem dafür, dass sie genügend aß, bevor sie sich zum Schlafen zusammenrollte.

 

Anton hielt mich über die Verhöre auf dem Laufenden; tatsächlich gab Penny eine Menge Insider-Wissen preis. Und zwar ruhig, konzentriert und präzise.

 

Nach fünf Tagen erklärten die Vier die Gespräche für beendet und zogen sich zur Beratung über das weitere Vorgehen zurück.

 

 

KI-generiertes Bild. Eine rotgetigerte und eine schwarze Katze sitzen friedlich nebeneinander an einem See. Beide gucken ernst. Im Hintergrund sind Baumstämme und Pflanzen zu erkennen.
Penny und ich.

Pennys ganzer Körper strahlte Anspannung pur aus, als sie an jenem Tag bei Springs Hütte eintraf, und sie verweigerte das Abendbrot. Und mir ging es nicht so viel anders. Ich hatte keine Ahnung, wie sich die Vier entscheiden würden. Kurzentschlossen forderte ich sie auf, mir zu folgen, und führte sie zu dem kleinen Tümpel, an dem ich mich von klein auf an verkrochen hatte, wenn ich Ruhe brauchte. Ihr erging es wie mir, nach einiger Zeit fiel ein Teil der Anspannung von ihr ab.

 

„Wirklich ein schöner Ort“, der längste Satz, den sie an diesem Tag mit mir gesprochen hatte.

 

Ja, das ist der kleine Tümpel. Ein schöner Ort. Wir alle brauchen solche Orte, Orte, an denen wir einfach nur sein können, Orte, an denen aller Stress zumindest für einige Zeit von uns abfällt.

 

Nun, ich war unendlich erleichtert, als Maxi uns zwei Stunden später mitteilte, dass Penny ihre Chance bekommen würde, wenn auch unter recht harten Auflagen:

Sie durfte den Zauberwald nicht verlassen, ihre Magie würde mittels eines Zaubers eingeschränkt, wenn auch nicht komplett geblockt werden, und Anton, Konrads Stellvertreter, würde Tag und Nacht an ihrer Seite sein, um auf sie aufzupassen, bis all ihre Aussagen überprüft worden waren und sie sich bewährt hatte. Ferner durfte sie keine Schneckenpost versenden und kein magisches Funkgerät benutzen. Ich fand die Auflagen sehr hart.

 

Penny dagegen nahm sie ruhig und gelassen auf und gestand mir später leise: „Ich habe mit viel Schlimmeren gerechnet. Ist doch klar, dass sie mir nicht trauen.“

 

In ihrer Stimme war kein Zynismus, sie meinte das ernst.

 

Überhaupt: Von der kampfwütigen Katze auf der Grünanlage in eurer Welt war nicht viel übrig. Sie wirkte sehr klein und sehr zerbrechlich. Und verunsichert, was ich gut nachfühlen kann, war dies doch der Beginn eines völlig neuen Lebens.

 

Ich bin sehr gespannt, wie sich meine Beziehung zu ihr entwickeln wird und was die Hinweise, die sie Maxi und den anderen gegeben hatte, bringen werden. Doch das ist Stoff für weitere Geschichten.

 

Für heute, meine zauberhaften Fans, war es das.

 

Wie immer dürft ihr mir gern, einen Kommentar hier auf dem Blog oder meinen Social Media Accounts hinterlassen und/oder meine Geschichten weiterempfehlen.

 

Wir lesen uns.

Bis bald.

 

 

Es grüßt euch herzlich euer Merlin. 

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Kommentare: 3
  • #1

    firefly (Sonntag, 03 November 2024 14:21)

    es ist schwer, wenn geschwister nicht auf demselben stand sind, was die täter*innen betrifft. ich drücke merlin die daumen �

  • #2

    Hartmut (Sonntag, 10 November 2024 12:17)

    Hallo Merlin,
    das war wirklich eine tolle Geschichte bisher! Sie war mir eigentlich schon zu kurz. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das Verhältnis zwischen dir und Penelope weitergehen wird, aber auch über den Prozess: Hier fehlt mir noch etwas, was dort mit Nero und den anderen passiert ist. Sind sie jetzt wirklich in den Steinernen Gärten, oder gibt es da möglicherweise noch irgendwelche Komplikationen, die du bisher noch nicht auf den Tisch gelegt hast? Ich bin schon so gespannt auf die Fortsetzung. Viele Grüße an Anna und Co. und natürlich an Spring. �

  • #3

    @energiepirat (Montag, 11 November 2024 13:14)

    Mein lieber vornahm schwarz gekleideter Freund, Lieber Merlin,

    Leider fehlen mir aktuell die ruhigen Momente, auch für Mastodon Ich konnte Deine neue Geschichte nur in Raten lesen und musste mehrfach von vorne anfangen.

    Und erneut nehme ich Ähnlichkeiten wahr. Meine Mutter hat sich von meinem Vater getrennt, das war ich kaum 6 Monate alt. Sie hat mich dann überwiegend meiner Großmutter väterlicherseits überlassen und später - als die nicht mehr was - da war ich gerade mal fünf – erst Mal einer Tagespflegemutter und später ein Klosterinternat. Nur meine Halbschwester wurde erst viel später geboren. Da war ich 14.

    Allerdings wollt die mich nie umbringen und mag mich als Bruder..

    Und mit Ämtern habe ich keine Probleme. Auch davon bin ich Gott sei Dank verschont.

    Im konkreten Leben auf dem Planeten aber fliegen derzeit auch bei mir die Fetzen. Für Katzen- oder Esel-Yoga bleibt auch keine Zeit. Magische Energiestrahlen werden nicht auf mich abgefeuert, aber Bosheiten in unglaublicher Dimension. Über Email läuft derzeit eine Hetzkampagne sondergleichen. „Aha“ dachte ich auch, bin aber alles andere als gelähmt. Im Gegenteil. Aber echt noch mehr genervt, als bisher, da es erneut Unmengen Zeit kostet, sich damit auseinanderzusetzen.

    Gefällt mir, dass Du cool bleibst. Das bin ich auch. Ich hätte genauso reagiert.

    Der Vorwurf, den Penelope erhebt ist mir dagegen nicht neu. Ich wurde von meiner Mutter genauso behandelt nur nicht unter Verwendung eines Maßstabs „Halbbruder“ sondern beliebige und wahlweise unter Heranziehung sämtlicher Kinder in meinem Alter, die sie zum Teil nicht mal mehr als drei Minuten kannte und sie mir trotzdem als Vorbilder und Maßstäbe vor die Füße geworfen hat und sich immer beschwerte, warum ich nicht so toll wäre. Ich kann Penelope nachfühlen, habe diese Kinder aber nie verantwortlich gemacht,.Wollte nur nichts mit denen zu tun haben.

    All das was Du beschreibst ist mir zutiefst vertraut. Deine Geschichte hilft mir zu verstehen, Nach über 50 Jahren.

    Wahnsinn Danke für Deine Geschichte

    Ich bin neugierig, wie das wird mit den Geschwistern, die sich fanden,