Miau und hallo, meine zauberhaften Fans,
ich denke, ihr seid schon ganz gespannt, was Snowflake und Jean-Paul im Land der Magischen Ritter erlebt haben (=> 20.1 Land der Magischen Ritter), oder?
Na, dann werde ich mal loslegen; auch wenn ich bei diesem Abenteuer selbst nicht dabei war, bin ich sehr genau über die Geschehnisse informiert. Zauberkater hat ja so seine Quellen.
Also, trotz der guten Vorbereitung durch Tasso und Socke haben Jean-Paul und Snowflake Wochen gebraucht, um sich durch das Land der Magischen Ritter zu spielen und zur letzten Aufgabe zu gelangen. Vor allem Snowflake hatte mächtig damit zu kämpfen, dass sowohl die Umgebung als auch er selbst verpixelt waren, was zu einigen Koordinationsstörungen beim Springen und Rennen führte. Mein bester Freund hüpfte mehr als einmal daneben und so mussten sie einige Male von vorn beginnen.
Auch die Aufgabe mit dem Burgfräulein war kniffelig, da es den beiden nach der Befreiung aus der Drachenhöhle bei jedem Versuch erst einmal davonlief. Die Dame einzufangen, um sie dem König zurückzubringen, nur dann schaltete sich das nächste Level frei, kostete jedes Mal elend viel Zeit.
Doch endlich, endlich standen sie vor dem vierarmigen Ritter: die gefährlichste und schwierigste Aufgabe am Ende des letzten Levels. Dieser ist eigentlich nur durch Tricks zu besiegen, weil sein magischer Schutzschild unglaublich stark ist, sodass eins rein mit Magie keine großen Chancen hat, hatte Socke erklärt und meinem besten Freund und seinem Lebensgefährten geraten, den Ritter zunächst ins Stolpern zu bringen und in der Sekunde, in der der Ritter auf dem Boden aufschlug, von hinten mit Magie anzugreifen. Aber den Trick hatte Socke wohl zu oft angewendet. Roderich, der Ritter – ja, Snowflake und JP hatten ihm tatsächlich einen Namen gegeben – wich allen Stolperfallen geschickt aus und erledigte meine Freunde zwei Mal innerhalb von Sekunden.
Genau, miau, das hieß, sie hatten nur noch einen einzigen Versuch. Schafften sie es wieder nicht, würde Roderich sie, ohne mit den Wimpern zu zucken, ins Land der Ahnen (=> Wissenswertes 2) katapultieren. Mascha, Spring, Tasso, meine Wenigkeit und selbst Socke redeten alle unabhängig voneinander auf die beiden ein, es doch Socke zu überlassen, mit den beiden Schneeleopard*innen zu reden, schließlich käme er ja direkt ins Ziel und könnte sich zudem magisch tarnen.
Wie das Tarnen funktioniert, habe ich euch im ersten Teil gar nicht erklärt, miau, sorry. Also, eins wird dann nicht wirklich unsichtbar, sondern – hm, wie erkläre ich das – verschmilzt quasi mit der Umgebung, ein bisschen wie ein Chamäleon. Das Wichtigste jedoch ist, dass die magische Aura, die alle magischen Wesen umgibt und durch wir einander erkennen, nicht mehr spürbar ist und so unsere Anwesenheit nicht verraten kann. Es ist, wie gesagt, schwierig zu lernen – und nur die Wenigsten beherrschen es gut. Penny war, als sie mich angreifen wollte, ja auch eher schlecht als recht getarnt gewesen (=>18. Familientreffen der besonderen Art). Zu meinem Glück. Socke aber kann es, wie alles, was er tut, recht gut.
Doch Snowflake und Jean-Paul blieben stur. Mein Eindruck war, dass es nicht mehr nur darum ging, selbst herauszufinden, ob es sich wirklich um Coco und Gaston handelte. Ich denke, die zwei waren vom Ehrgeiz erfasst worden, diesen Abenteuer-Parcours tatsächlich bewältigt zu haben. Und außerdem haben solche „Spiele“ ja immer auch ein bisschen einen Suchtcharakter, miau.
Ich kann euch sagen, meine zauberhaften Fans, als sich Snowflake und Jean-Paul erneut bis zur letzten Aufgabe durchspielten, habe ich kein Auge mehr zugetan und bekam keinen Bissen herunter, so elend war mir vor Angst.
Doch die beiden hatten tatsächlich einen Plan, den sie unserer kleinen Clique allerdings nicht verrieten, bevor sie zum letzten Versuch aufbrachen. Das war vermutlich sinnvoll gewesen, denn hätte Mascha vorher gewusst, wie die zwei vorgehen wollten, hätte sie die beiden vermutlich mit aller Macht daran gehindert, die kleine Insel jemals wieder zu betreten.
Der Plan war in der Tat nämlich mehr als gewagt:
Sobald nur noch der vierarmige Ritter Roderich übrig war und Socke das Zeichen gab, dass die beiden Schneeleopard*innen in ihrer Hütte im Ziel anwesend waren und ein Schläfchen hielten, würden sie wie gehabt zur letzten Burg springen. Doch in der Sekunde, in der Roderich über die kleine Zugbrücke stürmte, Moon hatte das alles sehr detailgenau gestaltet, würde sich Snowflake hinter Jean-Paul halten und dieser sein magisches Brüllen (=> 11. Snowflake in Not; 12. Jean-Pauls Geschichte) gegen Roderich einsetzen. Beide waren sich sicher, dass Jean-Paul diese besondere Fähigkeit mittlerweile gut genug kontrollieren und dosieren konnte, sodass er damit keinen weiteren Schaden anrichten würde.
Nun ja.
Zunächst sah es so aus, als würde der Plan aufgehen. Kaum betrat Roderich die Brücke, brüllte Jean-Paul los. Der Ritter schleuderte wie geplant gegen die Mauern der Burg und Snowflake schickte sofort einen Energiestrahl hinterher, der ihn endgültig schachmatt setzte.
Geschafft!
Roderich rührte sich nicht mehr und der Nebel, der das Ziel bis eben verborgen hatte, lichtete sich endlich. Begleitet von Fanfarenklängen und einem Feuerwerk aus Sternen und Glitzer, nur sicht- und hörbar für diejenigen, die gerade das Ziel erreicht hatten, nicht aber für jene, die sich dort bereits befanden. Zum Glück, so waren die beiden Schneeleopard*innen nicht vorgewarnt. Doch meine beiden Freunde hatten keinen Blick dafür, obwohl das laut Socke eigentlich ein Gänsehaut-Moment ist, so zauberhaft hatte Moon das gestaltet.
Statt das Feuerwerk zu beobachten, folgten sie dem sich in Zeitlupe zurückziehenden Nebel in westlicher Richtung und erreichten bereits nach zwei Minuten die Hütte, von der Socke berichtet hatte. Wie vorab geplant postierten sie sich so leise wie irgend möglich wenige Meter vor dem Eingang. Dann hieß es warten, bis die beiden Schneeleopard*innen aufwachten und herauskamen.
Als es schließlich Bewegung im Innern gab, hielten JP und Snowflake den Atem an. Gleich galt es, das Zeitfenster von fünf Minuten, bevor die beiden fliehen konnten, effektiv zu nutzen.
Schließlich schoben sich die beiden Schneeleopard*innen vorsichtig durch die Tür, dicht aneinandergedrängt. Sie erblickten Snowflake und Jean-Paul, kaum dass sie alle vier bzw. acht Pfoten vor der Hütte hatten.
Ursprünglich hatte Snowflake vorgeschlagen, das Gespräch behutsam und diplomatisch anzugehen. Doch Jean-Paul war sich in dem Moment, in dem er den beiden gegenüberstand, sicher, wen er vor sich hatte, und konnte sich nicht länger zurückhalten.
„Ihr seid es wirklich. Ihr seid es!“, brach es aus ihm heraus und schon lief er ein paar eilige Schritte auf Gaston und Coco zu, auf deren Gesichtern sich sofort Panik abzeichnete.
Genau wie von uns allen vorab befürchtet, leiteten sie unmittelbar das Dimensionenspringen ein, indem sie sich in die dafür typische Haltung begaben. Ab jetzt lief die Zeit.
„Erkennt ihr mich nicht?“, Jean-Pauls Stimme klang verzweifelt, als er erneut das Wort an seine Eltern richtete. „Ich wollte das damals nicht. Bitte glaubt mir. Es war ein Versehen, ich wollte euch doch nur beschützen und dann …“
Verzweifelt brach er ab, während er den Blick seiner Mutter suchte.
Nach kurzem Zögern erwiderte Coco diesen. Für einige Sekunden sahen sie sich direkt in die Augen. Dann begann die Schneeleopardin zu schwanken, stoppte mittels einer Pfotenbewegung das eingeleitete Dimensionenspringen, wankte auf ihren Sohn zu und stieß tonlos-fragend hervor:
„Jean-Paul?“
JPs Stimme war heiser, als er mühevoll ein „Ja“ hervorbrachte.
„Ja, ich bin es.“
Coco zögerte nun keine Sekunde mehr, sie sprang zu ihrem Sohn, umklammerte seinen Körper mit den Vorderpfoten und begann zu weinen, während anfing, ihm mit der Zunge das Fell am Kopf zu putzen, als sei er noch ein Baby.
Während Snowflake die ersten Tränen der Rührung herunterschlucken musste, blickte Gaston eindeutig rein gar nichts. Zwar brach er ebenfalls das Dimensionenspringen durch eine Bewegung mit der Pfote ab, starrte aber völlig fassungs- und verständnislos auf seine Partnerin und JP.
Und dann passierte es. Gaston setzte gerade an, um endlich etwas zu sagen, als es plötzlich, wie aus dem Nichts, sehr, sehr laut hinter ihnen wurde und ein Sturm sondergleichen losbrach. Schon flogen die ersten Trümmerteile der Gebäude und des Parcours durch die Luft und ihnen um die Ohren, gefolgt von Monstern und Burgfräuleins und Teilen von Ritterrüstungen und noch mehr Trümmern. Das Licht flackerte dramatisch und Blitze schossen quer über die Insel, erzählte mir Snowflake später und fügte hinzu:
„Alles war genauso, wie ich mir immer einen Weltuntergang vorgestellt habe!“
Nun, in gewisser Weise war es ein Weltuntergang, denn Moons ganzes Lebenswerk brach in Sekundenschnelle in sich zusammen. Ganz offenbar hatte Jean-Pauls Brüllen nicht nur Roderich außer Gefecht gesetzt, sondern war letztlich doch zu stark gewesen und hatte somit die Magie, mit der das Spiel errichtet und aufrechterhalten wurde, auf der ganzen Insel aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass sie sich quasi selbst zerstörte.
Als Mascha später davon erfuhr, reagierte sie sehr resolut. Sie verbot Jean-Paul kurzentschlossen, das Brüllen irgendwo außerhalb der Wüstenregion I einzusetzen, ihr Übungsgebiet, wie ihr euch vielleicht erinnert, bis er weitere Fortschritte im Kontrollieren machte – und die offenbar vielfältigen Wirkungen des Brüllens genauer erforscht waren.
Doch zurück zur Insel, auf der den Schneeleopard*innen im wahrsten Sinne des Wortes alles um die Ohren flog.
Gaston fing sich als erster.
„Wir müssen hier weg“, brüllte er, panisch und energisch zugleich und setzte hinzu: „Wir treffen uns auf dem Blauen Mond.“
Schon wollte er losspringen, als er sah, wie die anderen zögerten. Mit einem Satz war er bei seiner Partnerin, berührte sie mit der Pfote an der Schulter, brüllte „Los, komm“ und verschwand im Nichts. Die Zeitverzögerung für das Dimensionenspringen existierte bereits nicht mehr.
Coco warf einen verzweifelten Blick auf ihren Sohn, rief ihm noch etwas zu, was in dem Toben des Sturms unterging, und folgte Gaston, sichtlich zerrissen und unwillig.
Jean-Paul jedoch war vollkommen erstarrt, unfähig auch nur eine Pfote zu bewegen. Kein Wunder, war doch der Blaue Mond jener Ort, an dem das Unheil damals seinen Lauf genommen hatte. Der Ort, an dem alles begonnen hatte. Der Ort, an den er niemals mehr zurückkehren wollte und dessen Schönheit und Buntheit für ihn für immer mit dem Horror vor hundert Jahren verbunden sein würde (=> 12. Jean-Pauls Geschichte).
Snowflake begriff blitzschnell, was in seinem Lebensgefährten vorging. Während um sie herum ein magischer Hurrikan tobte, der sie fast von den Pfoten warf, presste er sich dicht an ihn und flüsterte:
„Ich weiß, du hattest dir geschworen, den Blauen Mond nie wieder zu betreten. Doch wir müssen hier weg. Und ich denke, es wäre gut, deinen Eltern zu folgen, bevor wir sie womöglich wieder verlieren. Wir springen zusammen. Schulter an Schulter. Ich bin bei dir. Ich bin die ganze Zeit an deiner Seite. Die ganze Zeit. Ich bin bei dir und passe auf dich auf.“
Er hatte die richtigen Worte gewählt. Jean-Paul schmiegte sich, wenn auch immer noch zitternd, an ihn und gemeinsam sprangen sie Coco und Gaston hinterher.
Als sie landeten, lief Coco sofort auf ihren Sohn zu, auch ihr ganzer Körper bebte vor Aufregung und innerem Stress. Erneut fuhr sie ihm mit der Zunge über das Fell, das beruhigt übrigens tatsächlich, und kuschelte sich dann dicht an Jean-Pauls andere Seite.
Verzweifelt sah sie Gaston an: „Du erinnerst dich nicht, oder?“
Sie tat es, eindeutig; ihr Blick scannte unablässig panisch-wachsam die Umgebung. Snowflake, der ahnte, wovor sie sich fürchtete, sagte in beruhigendem Tonfall: „Der Troll ist weg. Für immer.“
„Welcher Troll? Und an was soll ich mich erinnern? Was ist denn nur los mit euch? Das ist einer der friedlichsten und einsamsten Planeten überhaupt“, Gaston erinnerte sich offenbar nach wie vor an gar nichts, denn er sah die anderen drei Schneeleopard*innen vollkommen verständnislos an. „Was hast du denn auf einmal, Coco? Wir sind hier doch schon oft gewesen! Nur ein paar harmlose, quietschebunte Alpakas und ein gutes Futterangebot.“
Okay, damit war klar, dass der Blaue Mond ein weiterer Ort war, an dem sie sich in den letzten hundert Jahren häufiger aufgehalten hatten, der jedoch nicht auf unseren Karten eingezeichnet war. Wie auch. Hier gab es nur die Regenbogen-Alpakas, deren Sprache wir bis heute nicht entschlüsselt hatten. Ansonsten war es ebenfalls ein sehr verlassener Ort, wie Gaston richtig bemerkt hatte. Trotzdem, wir hätten schon draufkommen können, dass die Möglichkeit bestand, dass sie immer wieder auf den Blauen Mond zurückkehrten, miau.
Während Gaston sprach, drehte er sich im Kreis, wohl um allen zu zeigen, dass es hier nichts Bedrohliches gab.
Und dann passierte es. Er trat auf einen Ast genau wie vor hundert Jahren Jean-Paul und das Knacken, obwohl sehr leise, war dennoch ohrenbetäubend laut in den Ohren aller Anwesenden. Jean-Paul und seine Mutter zuckten heftig zusammen, Gaston jedoch reagierte am stärksten auf das Geräusch. Er fuhr zusammen, sah sich hektisch um, dann schienen seine Augen mit einem Mal ins Leere gerichtet, sein Körper wurde starr, sein Atem hektisch. Behutsam näherte sich Coco ihm, doch er nahm sie überhaupt nicht wahr.
Später erzählte er, dass er in jenem Moment die Szene von vor einhundert Jahren detailgenau wiedererlebte. Den Troll, den Angriff, das Wissen, gleich zu sterben, das Brüllen seines Sohnes, das Herumwirbeln in den Dimensionen, die unsanfte Landung, gefolgt von einer langen, tiefen Dunkelheit. Das Erwachen, die ewige Panik vor allen und allem, außer Coco. Die Leere innen, verursacht durch die vielen fehlenden Erinnerungen.
Erst als JP rief: „Es ist okay, Papa. Wir haben überlebt. Wir haben alle überlebt“, löste sich die Starre seines Körpers und er wandte den Kopf langsam in Richtung Jean-Pauls.
„Mein Sohn“, leise, noch ungläubig-fragend hervorgestoßen. Dann bestimmter, klarer, fast fröhlich: „Mein Sohn“.
Schnell lief er auf JP zu, blieb dicht vor ihm stehen und flüsterte: „Du warst es. Du hast uns das Leben gerettet!“
Doch dann schluchzte er unvermittelt auf: „Was haben wir dir nur angetan? Wir hätten dich niemals hierher mitnehmen dürfen!“
Das Schluchzen wurde zu einem Weinkrampf, seine Pfoten gaben unter ihm nach und er sank zu Boden. Coco und JP eilten zu ihm und kuschelten sich an ihn. Ein paar der Regenbogen-Alpakas, die die Szene von Weitem beobachtet hatten, taten es ihnen gleich und spendeten so tröstende Wärme. Das sind schon sehr tolle, empathische Tiere, miau!
Doch nicht nur der wiedervereinten Familie liefen die Tränen über die Gesichter, sondern auch Snowflake, der ein paar Meter entfernt stand, damit die drei diesen Moment für sich hatten. Der Gute ist generell nahe am Wasser gebaut, miau. Aber ich glaube, da hätte jedes Lebewesen ein bisschen mitgeheult. Es war einfach zu dramatisch und zugleich sehr berührend.
Einige Wochen nach den Ereignissen im Land der Magischen Ritter und auf dem Blauen Mond ging ich mit Tasso ein wenig im Zauberwald spazieren. Von weitem sahen wir JP mit Coco und Gaston unter einem der zauberhaften Bäume sitzen.
„So schön, dass sie sich wieder versöhnt haben“, kommentierte Tasso den Anblick.
„Du meinst, dass sie wieder vereint sind“, korrigierte ich meinen Freund.
Seit er wieder über Magie verfügt und damit alle Sprachen unserer und eurer Welt beherrscht, verwechselt er ständig Wörter und Begriffe (=> 17. Und manchmal wird doch alles gut). Sein Gehirn ist mit den Veränderungen etwas überfordert; das wird sich mit der Zeit – hoffentlich – wieder geben.
Tasso seufzte:
„Ja, natürlich. Vereint.“
Dieser Versprecher Tassos, ihr Zauberhaften, brachte mich allerdings auf die Idee, mal ein bisschen über die Themen Verzeihen und Versöhnen zu philosophieren. Wobei: eindeutig Stellung dazu zu beziehen, trifft es wohl besser, miau:
Von Gewalt betroffene Menschen, Menschen mit DIS, pDIS, komplexen Traumafolgestörungen bekommen leider nur allzu oft zu hören, sie sollten ihren Täter*innen doch bitte verzeihen, nur so könnten sie selbst ihren Frieden finden, die Geschehnisse loslassen usw.
Das ist – sorry, hier muss ich leider mal sehr deutlich werden – einfach nur Bullshit. Es mag Menschen geben, für die persönlich das wichtig ist und die sollen ihren Weg damit auch gehen, keine Frage, miau. Es aber als allgemeine Empfehlung oder gar als Notwendigkeit für den Therapieprozess zu formulieren, geht gar nicht. Es ist schlicht nicht notwendig, um an einem Leben mit weniger Traumafolgen zu arbeiten. (Ich benutze bewusst nicht die Formulierung „zu heilen“, aber das ist ein anderes Thema.)
Wie und warum zum grünen Troll sollte eins den Menschen verzeihen, die ihnen Fürchterliches, z.T. Unvorstellbares angetan haben, wenn diese in aller Regel nicht gewillt sind, Verantwortung zu übernehmen, geschweige denn, in irgendeiner Form Wiedergutmachung zu leisten? Die nicht einmal zugeben, dass sie Straftaten begangen haben?
Diese Forderungen sind für mich wieder einmal nur eins: eine Diskurs- und somit Schuldverschiebung zugunsten der Täter*innen. Gehen Betroffene diesen Schritt nicht, sind sie in den Augen jener, die Verzeihen fordern, ja selbst schuld an ihrem Zustand und nicht die Täter*innen. Deswegen mein so eindeutiges „Bullshit“!
Niemensch muss verzeihen, lasst euch da nichts anderes einreden, bitte!
Natürlich werden Gaston, Coco und Jean-Paul noch eine Menge zu besprechen und mit vielen widersprüchlichen Gefühlen zu kämpfen haben. Ich hoffe sehr, dass ihnen Joanna, unsere Therapeutin im Zauberwald, dabei helfen kann. Sie haben durch ein tragisches Ereignis hundert Jahre ohneeinander verbringen müssen. Eine lange Zeit, die sich nicht nachholen lassen wird und um die es zu trauern gilt. Eine Zeit, in der JP von Schuldgefühlen und Ängsten gequält wurde. Eine Zeit, in der Coco und Gaston unter einer weitgehenden Amnesie und nicht-erklärbaren Panikattacken litten, wenn sie andere Lebewesen sahen. Spannenderweise ließen diese nach, je mehr Erinnerungen zurückkehrten. Trotzdem, das ist alles nicht ohne und es wird viel Zeit brauchen, das zu bearbeiten. Gaston hatte ja noch auf dem Blauen Mond den Anfang gemacht, als ihm schlagartig klar wurde, dass er und Coco ihren damals noch jugendlichen Sohn nicht hätten mitnehmen dürfen, als sie vor hundert Jahren zu der Exkursion zum Blauen Mond aufbrachen.
Doch sie haben einander wieder. Und für jetzt und heute ist das erst einmal genug.
So, wie häufig am Ende meiner Geschichten sind auch dieses Mal noch ein paar offene Fragen zu klären. Ihr kennt das ja, miau:
Also, die Insel war tatsächlicher jener Ort, an dem Coco und Gaston landeten, als JP sie vom Blauen Mond wegbrüllte, und blieb über all die Jahre ihr bevorzugter Zufluchtsort. Sie hatten sich im Norden der Insel jene kleine Hütte gebaut und waren sogar ganz zufrieden mit ihrem Leben; zur Nahrungssuche sprangen sie ins Schneeland oder in andere winterliche Regionen oder auf Planeten, wie eben den Blauen Mond, die sehr einsam sind. An all jene Orte, an die sie sich noch bruchstückhaft erinnerten.
Ja, sie hatten durch JPs magisches Brüllen ihr Gedächtnis teilweise verloren, wie ihr ja jetzt wisst. Ihre Erinnerungen waren sehr lückenhaft; so erinnerten sie sich beispielsweise an den Tag, an dem sie sich ineinander verliebt hatten, nicht aber an ihren Job im Zauberwald, den Zauberwald selbst und vor allem nicht an Jean-Paul.
Eine weitere „Nebenwirkung“ von JPs Brüllattacke war, dass sie eine unerklärliche, panische Angst vor anderen magischen Lebewesen entwickelt hatten, weshalb sie jedes Mal durch die Dimensionen flohen, näherte sich eins ihnen. Seltsamerweise muss Moon erkannt haben, als er zu Beginn der magischen Arbeiten auf der Insel auf sie traf, dass sie in irgendeiner Weise in Not waren; richtig Kontakt hatte wohl auch er nicht zu ihnen. Aber er ließ sie nicht nur weiter auf der Insel im Ziel wohnen, ohne dass sie den Parcours durchlaufen mussten, sondern brachte ihnen sogar hin und wieder etwas zu essen, das er vor ihrer Hütte ablegte.
Tja, und das Land der Magischen Ritter gibt es nicht mehr. Jean-Paul litt eine Zeitlang ein ganz klein bisschen an schlechtem Gewissen, es zerstört zu haben. Doch letztendlich überwiegt bei ihm die Freude, seine Eltern wiedergefunden zu haben. Das kleine Stückchen Land im Nordwesten meiner Welt ist wieder die namenlose Insel, die sie Jahrtausende lang war, bevor Moon auf den Plan trat. Deswegen ist sie auf der Karte in „Wissenswertes 2“ nicht beschriftet und taucht auch in meinen Artikeln zur Magischen Welt nicht auf. Alles, was Moon mit Hilfe von Magie erschaffen hatte, existiert nicht mehr. Nur ein paar der angriffslustigen Büsche haben wohl überlebt und werden mit der Zeit vermutlich die ganze Insel überwuchern. Naja, solange sie dort bleiben, ist mir das egal.
Und dann bleibt noch die Frage, woran Coco ihren Sohn erkannt hatte, hatte er sich doch in den hundert Jahren deutlicher verändert als Coco und Gaston: Er war von einem schlacksigen Jugendlichen zu einem muskelbepackten, erwachsenen Schneeleoparden herangereift. Nun, was es genau war, was ihre Erinnerung an ihren Sohn wieder hervorholte, doch sein Aussehen, sein Geruch, der Klang seiner Stimme oder etwas ganz anderes, wie dieser ominöse Mutterinstinkt, kann sie selbst nicht sagen. Ist vielleicht auch nicht wichtig.
Damit, meine zauberhaften Fans, werde ich für heute schließen und es bleibt mir nur noch zu sagen: Bis bald. Wir lesen uns.
Wie immer dürft ihr mir gern einen Kommentar hier auf dem Blog oder auf meinen Social Media Accounts oder über das Kontaktformular hinterlassen.
Es grüßt euch herzlich euer Merlin
firefly (Samstag, 11 Januar 2025 13:21)
spannung, rührung, erklärkater - ein schöner mix �
@energiepirat (Dienstag, 31 Dezember 2024 14:55)
Lieber Merlin,
Vielen Dank fo die spannende Geschichte. Gutes Tempo und sehr ereignisreich. Man kann den Ritter Roderich buchstäblich vor sich sehen wie er gegen den Felsen kracht, Und auch ein bisschen schade, dass er nicht mehr existiert, Das hätte Potenzial.
Und vor allem Dank für die Erklärung der Funktion der angebliche Wichtigkeit des Verzeihens ohne Bedingung, Leute,die einen so manipulieren wollen, gibt es mehr als genug, Ja, klar. Einer ist schon einer zu viel. Das ist so schräg, wie das "Du entschuldigst Dich bei dem und dem...." in der Kindheit und Jugend,wenn man sich doch eigentlich nur gewehrt hat.
Der Angreifer wird damit aus der Verantwortlichkeit entlassen und - warum wundert mich das dann nicht? - baut den gleichen oder schlimmeren Bockmist wieder, weil er ja nun deutlich sicherer ist, dass es ihm nie wirklich zum Nachteil gereichen bzw. schaden wird,
Danke lieber Merlin, Super Arbeitsplatzphoto übrigens,
Bei mir läuft es wie geplant. Anschlussheilbehandlung nach Operation am Knie
Ich kuschel Dich ganz kätzlich
Gruß
Energiepirat
Erna (Montag, 30 Dezember 2024 17:23)
Lieber Merlin,
nun habe ich doch schon Teil II gelesen! Wow!!! Es hat mich ein bisschen gegruselt, als Snowflake und JP zum 3. x vor den Ritter mussten, aber ich wusste auch, dass sie es schaffen würden und es war zu spannend, um mit dem Lesen aufzuhören. Ich gebe zu, ich habe auch ein bisschen in meine Pfötchen geweint, vor Rührung und Freude, weil es so schön und auch herzzerreißend war! Du hast den Nagel beim Thema Trauma mal mal wieder so gut auf den Kopf getroffen, ohne das Wort einmal zu nennen! Es beschreibt das alles wieder wirklich gut! Und auch dem Thema "verzeihen": Du hast so recht und mich macht es auch so wütend, wenn das von Betroffenen gefordert wird. Da könnte ich an die Decke gehen, knurr!
Vielen lieben Dank für diese tolle, wunderbare und lehrreiche Geschichte! Ich freue mich auf weitere Abenteuer und denke die nächsten 2 Tage fest an Anna & Co und Dich und Deine Freunde, falls Du ebenfalls so viel Angst vor der Knallerei hast, wie ich!
Bis bald und ein liebes Wuff an alle!
Deine Erna
Hartmut (Sonntag, 29 Dezember 2024 17:55)
Hallo Merlin,
der zweite Teil war ja genauso spannend wie der erste. Allein schon dieser Aufbau und der Plan von Snowflake und JP – das war schon richtig mitreißend. Besonders das magische Brüllen war beeindruckend. Und ein bisschen Wasser in den Augen hatte man natürlich auch, als sich nachher alle getroffen haben. Ein schönes Familienfoto war das, das du da gemacht hast. Echt toll!
Dass es bei euch Joanna, die Therapeutin, im Zauberwald gibt, muss mir irgendwie entgangen sein. Wusste ich nicht. Aber eins muss ich ja wieder sagen: Du hast die DIS sehr schön mit eingebaut. Das passte wirklich gut, und es war ein wunderschöner Schluss.
Ich danke dir für diese Geschichte! Ich grüße dich, Anna und Co. und natürlich Spring.�