Kurzer Hinweis vorab: Bevor ihr mit dieser Geschichte beginnt, solltet ihr die Einleitung dazu (Auf Pizza) gelesen haben, da meine Reise zu den Dracheninseln dort unmittelbar anschließt.
Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,
tja, natürlich war es ein bisschen vorhersehbar gewesen, dass meine Landung am Strand des Magischen Türkisen Ozeans nicht ganz so glatt lief, wie erhofft. Ich hatte mich um einige Meter verkalkuliert. Um entscheidende Meter. So begann ich meine Reise zu den Drachen pitschepatsche nass, denn statt dass meine Pfoten auf warmem Sand aufsetzten, landete ich im Ozean, zum Glück im flacheren Teil. Für einen Moment paddelte ich etwas hilflos im Wasser, dann war eine Welle, an der Surfer*innen ihre helle Freude gehabt hätten, so freundlich, mich direkt an den Strand zu spülen. Wobei: Schleudern trifft es besser. Mau.
Nach dem Aufrappeln zauberte ich mich rasch so trocken, wie es nur ging. Für eine ausgiebige Katzenwäsche war ich zu ungeduldig, wollte ich mir doch schnellstens anschauen, wo ich gelandet war. So entfernte ich mir nur rasch den klebrigen Sand aus Augen, Nase und Mund. Natürlich hatte mich die Welle mit der Nase voran aus dem Ozean katapultiert. Als ich dann endlich den ersten Blick auf eben jenen werfen konnte, war ich schlicht überwältigt.
Wow! Der Türkise Ozean trägt seinen Namen wahrlich nicht umsonst. Das Türkis hat eine unglaubliche Intensität, die Gischt funkelt weiß und magisch in der Sonne und weit in der Ferne sah ich winzige dunkle Flecken im Meer, bei denen es sich wohl um die Drachen-Inseln handelte. Leider hatte ich für meinen Ausflug einen Tag erwischt, an dem der Ozean nicht spiegelglatt und ruhig dalag. Im Gegenteil. Die Wellen waren gigantisch. Das waren schon zwei Sachen, die ich für Lia verändern würde. Wir würden definitiv nicht im Wasser starten und so brausende Wellen brauchte es für die Fantasiereise auch nicht.
Als ich meinen Blick fasziniert über das Meer schweifen ließ, erblickte ich sie zum ersten Mal: unsere magischen Delfine. Tatsächlich gibt es sie in fast allen Farben: rosa, pink, lila, türkis, blau, grün schimmernd. Völlig versandet beobachtete ich ein paar Minuten lang einige von ihnen, wie sie miteinander spielten. Es war ein wunderschöner Anblick, wie sie aus dem Wasser auftauchten, in einem eleganten Bogen durch die Luft zu fliegen schienen, wieder eintauchten und hintereinander herjagten. Einfach zauberhaft.
Allerdings waren sie recht weit weg und mir war noch nicht so klar, wie ich einen von ihnen erreichen sollte, um mich zu den Inseln bringen zu lassen. Der Türkise Ozean wird schnell sehr tief und wie gesagt waren zumindest heute seine Wellen im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend.
Nach einer Weile löste ich meinen Blick von den Delfinen und betrachtete den Strand. Ein Traum, vergleichbar mit den Stränden in eurer Karibik, ewig lang und breit mit feinem, weiß-glitzernden Sand, am Rand große Palmen, schwer mit Kokosnüssen beladen. Und wunderbar einsam. Lediglich ein paar Seevögel kreisten am knalleblauen Himmel und machten sich offenbar über meine Landung lustig. Naja, sollten sie.
Ich verzichtete auf ein Wortgefecht mit ihnen und bemühte ich mich stattdessen endlich, die unangenehme Mischung aus feinem Sand und getrocknetem Salzwasser aus dem Pelz zu putzen. Möchte nicht wissen, wie ich aussah. Wahrscheinlich spotteten die Möwen auch über mein verkrustetes Fell. Ich hätte besser gleich gründlich Fellpflege betreiben sollen. Mau. Schließlich war das Gröbste entfernt und ich widmete mich der Frage, wie ich an einen Delfin kommen würde.
Ich hatte mich, wie Spring mir es geraten hatte, vor dem Absprung auf jenen Strandabschnitt des Türkisen Ozeans konzentriert, an dem es die Möglichkeit geben sollte, zu den Drachen-Inseln überzusetzen. Eine recht unpräzise Anweisung, wie mir jetzt klar wurde, genau wie ihr Satz: „Ach, wie das mit den Delfinen funktioniert, siehst du dann schon.“
Es wäre vermutlich sinnvoller gewesen, Tasso zu interviewen, der das bestimmt in irgendeinem Wälzer gelesen hatte und mir sehr ausführlich geschildert hätte, wie ich es bewerkstelligen konnte, auf die verflixten Inseln zu reisen. So ausführlich, dass ich vermutlich immer noch auf Annas Küchenfenster hocken würde.
Aber Spring hatte recht. Ein paar hundert Meter weiter südlich erblickte ich eine Art Steg, hoch aus dem Wasser ragend, aus einzelnen, großen, dicht beieinanderliegenden Steinen bestehend, der tief in den Ozean führte und an dem sich die Wellen brachen. Die Steine waren zum Glück recht flach, sodass die Kletterpartie auch für einen im Springen nicht so begabten Kater zu bewerkstelligen sein müsste. In der Hoffnung, dass es sich wirklich um die Delfin-Anlegestelle handelte, brach ich auf und genoss den kleinen Spaziergang dorthin sehr. Die Sonne schien mir wärmend auf meinen Pelz. Nach dem kalt-nassen Grau in Grau zu Hause tat das unglaublich gut. Und ist eins erst mal wieder trocken, ist der warme, weiche Sand an den Pfoten sehr angenehm, genauso wie die leichte Brise, die durch mein Fell fuhr.
Praktischerweise führt eine kleine Steintreppe auf den Steg, sodass ich ganz entspannt hinauftapsen konnte. Auch die ersten Meter auf dem Steg ließen sich gut laufen; die Gischt erreichte ihn hier noch nicht. Aber dann wurde es glitschig und es kam, wie es kommen musste: Ich rutschte weg und wäre um ein Haar wieder im Wasser gelandet. Verflixter Feenstaub. Wenn ich nicht aufpasste, würde das ein sehr nasses Abenteuer werden. Also konzentrierte ich mich und trocknete mit Hilfe von Magie den jeweils nächsten Stein, bevor ich ihn betrat. So bemerkte ich erst, dass ich das Ende des Steges erreicht hatte, als ich plötzlich mitten im Ozean stand, auf einem riesigen, flachen Stein. Fantastisch! Ich sah mich um. Hinter mir der weiße Strand, vor mir der türkis-glitzernde Ozean. Unglaublich schön. Nur leider kein Delfin weit und breit, obwohl ich mir sicher war, dass das hier die „Anlegestelle“ für sie war, um Passagier*innen zu den Drachen-Inseln zu bringen, die noch immer unendlich weit entfernt schienen. Die Gruppe spielender Delfine, die ich zuvor beobachtet hatte, war nicht mehr zu sehen. Hm. Eine Art Fahrplan, wann der nächste Delfin zu den Drachen-Inseln aufbrechen würde, war natürlich nirgendwo aufgehängt. Also begann ich, auf gut Glück zu rufen. Auf meine diversen „Hallo?“ passierte genau gar nichts und nach ein paar Minuten hatte ich Nase voll und rief frustriert: „Taxi, bitte!“
Das musste wohl das Zauberwort gewesen sein, denn auf einmal schossen aus allen möglichen Richtungen Delfine auf die steinerne Plattform zu.
Ein recht großer, rosa schimmernder erreichte mich als erstes.
„Guten Tag, mein Name ist Dorothea. Sie wünschen?“
Ich antwortete nicht sofort, da ich etwas irritiert war. Das Siezen kenne ich nur aus eurer Welt, in unserer ist das nicht üblich.
„Ähm, also, ich möchte zu den Dracheninseln.“
„Ah, ja. Erstens: Wer sind Sie? Zweitens: Zu welcher? Wie Ihnen bekannt sein dürfte, gibt es davon 27.“
Letzteres war mir natürlich nicht bekannt, wie ihr euch denken könnt, und selbstverständlich hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, zu welcher der vielen Inseln ich später in der Fantasie mit Lia reisen wollte. Anna, Königin der Planung und Listen, würde mächtig den Kopf über meine mangelnde Vorbereitung schütteln.
Also beantwortete ich zunächst Frage eins: „Merlin.“
„Und?“ Dorothea sah mich streng an.
Große Katze im Himmel, waren alle Delfine so unfreundlich? Noch ehe ich den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte, erschien neben Dorothea ein kleinerer Delfin, ebenfalls rosa schimmernd.
„Mama, sei doch nicht immer so streng!“ Bei diesen Worten schaute er Dorothea an, dann wandte er sich an mich: „Hallo, Merlin. Ich bin Jippie und ich bringe dich, wohin du willst.“
„Tust du nicht. Du bist noch nicht ausgewachsen. Merk dir das endlich. Außerdem heißt er Olaf“, letzteres richtete sich an mich.
„Orr, Mama. Alle haben so tolle Namen. Nur du und ich nicht! Das da ist zum Beispiel Hüpfer, mein bester Kumpel (er deutete auf einen türkis schimmernden Delfin), das ist Flying Blue (ein himmelblauer), das …“
Bevor er fortfahren konnte, unterbrach ihn seine Mutter: „Olaf ist ein ausgezeichneter Name.“ Jippie brach schmollend ab und Dorothea sah mich streng an: „Also, wohin wollen Sie?“
Ich erklärte ihr kurzerhand, was ich vorhatte, in der Hoffnung, sie könnte mich beraten, doch sie starrte mich nur fragend an: „Was bitte ist ein Innenkind?“
Und so hielt ich zum gefühlt tausendsten Mal einen kurzen Vortrag über DIS/pDIS, Trauma, Innenkinder usw. Zugegeben, die Delfine waren aufmerksame Zuhörer*innen, selbst Dorothea. Das hatte ich schon ganz anders erlebt.
„Dann würde ich die Insel mit den Mini-Drachen vorschlagen“, Flying Blue, eine ebenfalls schon ausgewachsene Delfin-Dame, ergriff nach meinen Ausführungen als erste das Wort.
Mini-Drachen klang gut, fand ich und Dorothea stimmte ebenfalls zu: „In der Tat ein sinnvoller Vorschlag. Sie sind ja recht winzig für einen Kater. Da wäre ein Besuch bei großen Drachen sicher nicht so angezeigt. Steigen Sie auf und ich werde Sie zu den Mini-Drachen bringen.“
„Und ich komme mit“, jubelte Jippie und strahlte mich an.
Für mich war jetzt schon klar, dass ich Lia von Jippie transportieren lassen würde – und ich würde die freundlich guckende Flying Blue nehmen, wenn Lia und ich das Abenteuer in der Fantasie nacherleben würden.
Doch zunächst stolperte ich über das „Steigen Sie auf“. Wie zum grünen Troll sollte ich sicher auf einem vermutlich glitschigen und sich ständig bewegenden Delfin landen?
„Spring einfach“, Jippie hatte mein Zögern bemerkt, „Mama fängt dich schon auf.“
Die Worte „springen“ und „einfach“ in einem Satz … seufz … Doch ich beschloss, es einfach zu wagen, hüpfte von der felsigen Plattform Richtung Dorothea, die sich in einer eleganten Drehung unter mich schob und mich tatsächlich auffing. Es wäre alles gut gegangen, hätte ich nicht reflexartig versucht, mich mit den Krallen an Dorothea zu klammern. Macht das nie! Wirklich nie!
Dorothea warf mich nämlich genauso reflexartig wieder ab und ich landete im Wasser.
Während ich dort hilflos paddelte, hielt sie mir die Standpauke meines Lebens. Und irgendwie ja auch zu Recht. Ich war nicht nur völlig durchnässt, sondern echt geknickt, angesichts meines Patzers.
Doch Delfine sind offenbar nicht nachtragend, denn Dorothea katapultierte mich, während ich noch Entschuldigungen stammelte, mit ihrer Schwanzflosse aus dem Wasser auf ihren Rücken, nicht ohne mich noch mal ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, die Krallen eingezogen zu lassen.
Ich hielt mich brav dran, allein aus Eigeninteresse, sah mich allerdings schon von Dorotheas Rücken rutschen und wieder im Ozean landen. Doch weit gefehlt. Es war, als würde ich magisch festgesogen, als ich mich mit dem Bauch an Dorotheas Rücken schmiegte und die Vorderbeine locker um ihren Hals legte. Kaum hatte ich mich platziert, wollte sie aufbrechen, doch Flying Blue stoppte sie mit einer Bewegung ihrer linken Flosse: „Warte kurz.“
Dann zauberte sie mich trocken, was ich zwar nett, aber nicht ganz logisch fand, denn in dem Moment, in dem wir losschwammen, würde ich doch sowieso wieder nass werden. Dachte ich. Doch Flying Blue sprach eine weitere magische Formel und eine Art Film legte sich über meinen Pelz.
„So bleibst du während der Reise trocken“, erklärte sie fürsorglich.
„Dann lassen Sie uns endlich starten. Ich habe heute noch Termine“, Dorothea, freundlich wie immer, tauchte die Nase (Schnauze? Wie heißt das bloß bei Delfinen?) ins Meer und schwamm los, begleitet von einem juchzenden Jippie, der mal vor und mal neben uns fröhlich im Wasser herumtollte.
Große Katze im Himmel war ich die ersten Minuten verkrampft, vor lauter Angst, in den Tiefen des Ozeans zu landen. Doch nach und nach entspannte ich mich – und ehrlich gesagt, war das schon ziemlich cool, sicher und trocken von Dorothea durch das Wasser getragen zu werden. Hin und wieder zogen Schwärme bunter Fische an uns vorbei, und die Sonne, der leichte Wind und das türkisfarbene Wasser waren Balsam für meine Seele, muss ich ja zugeben.
Nach etwa einer Stunde näherten wir uns der Insel-Gruppe. Manche der Inseln waren dicht bewaldet, andere karg und felsig und einige ein absolutes Strandparadies. Der Ozean floss zwischen den einzelnen Inseln ruhiger daher und Dorothea verlangsamte das Tempo ein wenig, sodass ich die ersten Drachen sehen konnte. Am beeindruckendsten war ein orangefarbener, der auf einer Felsklippe stehend, die Flügel ausbreitete und sich in die Luft schwang. Er war groß, sehr groß, bestimmt drei Meter lang – und doch zog er unglaublich elegant seine Kreise über der Insel-Gruppe.
Schließlich bremste Dorothea ab: „Wir sind da.“
„Da“ war jetzt sehr relativ, fand ich, denn es waren noch gut 20 Meter bis zum Ufer der Insel, in deren Richtung Dorothea mit einer ihrer Flossen deutete.
„Das Wasser wird jetzt zu flach für mich. Den Rest werden Sie schwimmen müssen, Herr Merlin.“
Ich starrte auf die Insel, an deren Uferböschung, die schnell steil anstieg, kleine grüne Sträucher und beeindruckend große, dunkelgrüne Blätter tragende Bäume standen. Es gab in der Tat keine Anlegestelle. Für Dorothea mochte das Wasser nicht mehr tief genug sein, für mich jedoch …
„Och, Mama“, Jippie schaltete sich ein, nachdem er meinen besorgten Blick gesehen hatte. „Der Scherz wird langsam lahm!“
Dann wandte er sich an mich: „Keine Sorge, das geht auch anders. Sie nimmt ihre Passagier*innen gern mal auf die Flosse“ und pfiff laut und so schrill, dass sich meine empfindlichen Katzenohren reflexartig anlegten.
„Gleich wird dich einer der Drachen abholen kommen. Dauert meist nur ein paar Sekunden“, erklärte er mir fröhlich. „Der fliegt dich dann zum Ufer.“
Ah, ja. Doch bevor ich in Panik ausbrechen konnte, sah ich schon, wie über der Insel ein kleiner blauer Drache mit roten Zacken entlang seines Rückens und auf dem Kopf aufstieg. Ich schätze ihn ungefähr 1,5 Meter lang und einen knappen Meter hoch. Klein für einen Drachen, ja, aber mini …? Er flog direkt auf uns und verringerte dabei rasch seine Flughöhe, bis er sanft neben Dorothea landete oder besser: wasserte.
„Hi, ich bin Gänseblümchen“, strahlte mich der kleine Drache an. „Schön, dass du zu uns willst. Die meisten wollen lieber die großen Drachen sehen. Komm, hüpf auf meinen Rücken. Ich flieg dich rüber und zeige dir unsere Insel.“
Gänseblümchen sah mich erwartungsvoll freudig mit schief gelegtem Kopf an, während ich mich nicht von Dorotheas Rücken bewegte. Ich fühlte mich auf dem Delfin inzwischen recht sicher, aber umsteigen und dann fliegen? Das klang doch eher gefährlich.
Gänseblümchen erkannte mein Dilemma, schwamm dichter an Dorothea heran und flüsterte beruhigend: „Keine Angst, ich lasse dich nicht fallen. Setz dich zwischen den ersten Zacken auf meinem Rücken und den letzten vom Kopf und klammer dich mit den Pfoten fest. Kannst ruhig deine Krallen benutzen. Merke ich nicht.“
Also nahm ich all meinen Mut zusammen und kletterte auf den kleinen blauen Drachen. Gänseblümchens Schuppen waren überraschenderweise samtig-warm. Wirklich angenehm unter den Pfoten. Zwischen Kopf und Rücken befand sich eine Schuppenplatte, auf der ich erstaunlicherweise recht bequem Platz fand. Trotzdem nahm ich Gänseblümchens Angebot an und krallte mich fest.
„Startklar?“, fragt mich der kleine Drache.
„Moment, wie komme ich später zurück?“
„Entweder rufen Sie sich wieder einen Delfin oder der Drache fliegt Sie zurück. Ich transportiere Sie selbstverständlich gern noch einmal. Rufen Sie einfach nach Dorothea.“
„Und nach Jippie“, fügte ebenjener begeistert hinzu.
Na, schauen wir mal.
Ich sah den beiden Delfinen zu, wie sie von dannen zogen, noch einmal beeindruckt von ihrer Eleganz, und wandte mich dann an Gänseblümchen zu: „Okay, wir können los. Aber flieg vorsichtig, ja?“
„Klar“, versprach der kleine blaue Drache, breitete seine Flügel aus und erhob sich gemächlich in die Höhe.
Hui, miau, ich muss schon sagen, wenn kater sich erst mal drauf eingelassen hat, ist Fliegen schon eine fantastische Sache, um nicht zu sagen, sensationell, auch wenn mein Magen Achterbahn fuhr. Aber der Blick nach unten, das Gefühl von Freiheit – großartig. Fast war ich ein bisschen traurig, dass der Flug so kurz war.
Wir landeten zwischen großen Laubbäumen neben einer Feuerstelle, an der vier weitere kleine Drachen offenbar bereits auf uns warteten und aufgeregt durcheinander schnatterten.
„Das ist Merlin“, informierte Gänseblümchen die anderen. „Aber lasst ihn doch bitte erst mal in Ruhe absteigen.“
Ach, ja. Absteigen. Noch immer hockte ich auf dem blauen Drachen. Langsam ließ ich mich von seinem Rücken auf den Waldboden rutschen. Große Katze im Himmel, waren meine Beine wackelig! Zu lange keinen festen Boden unter den Pfoten gehabt. Aber ansonsten fühlte ich mich erstaunlich entspannt. Der Waldboden war wunderbar weich und locker und so versuchte ich gar nicht, stehenzubleiben, sondern streckte mich der Länge nach aus und genoss den Bodenkontakt. Die großen Bäume spendeten viel Schatten, was ebenfalls sehr wohltuend war, denn auf den Drachen-Inseln herrschen recht hohe Temperaturen.
Die anderen Drachen hatten sich ein bisschen zurückgezogen und ließen mir höflicherweise einen Moment zum Ankommen. Dann stellte Gänseblümchen sie mir der Reihe nach vor:
„Das hier ist Hornveilchen, mein Bruder. Ein wirklich sanfter Zeitgenosse und zugleich ein begnadeter Kämpfer.“
„Und das Wasserlilie, unsere kleine Schwester. Sie …“
„Kleine Schwester? Pff. Du bist gerade mal fünf Minuten vor mir geschlüpft, Bruderherz“, Wasserlilie verpasste Gänseblümchen einen Knuff in die Seite.
Der ignorierte das geflissentlich und fuhr mit der Vorstellungsrunde fort:
„Und dann haben wir hier noch Mittagsblume, eine gute Freundin. Sie ist ein bisschen älter als wir anderen und daher der Kopf der Bande.“
Mittagsblume strahlte mich freundlich an; überhaupt machten alle fünf einen sehr sympathischen Eindruck. Besonders Hornveilchen hatte es mir angetan, ähnelte er doch ein wenig einer Katze.
„Und last, but not least: Sonnenblume. Mein bester Kumpel seit ewigen Zeiten. Tja, das ist sie, meine Gang. Was wollen wir anstellen? Worauf hast du Lust?“
Eigentlich hatte ich vor allem Hunger und brauchte ein Schläfchen. Aber Drachen, so viel wusste ich, waren durch die Bank weg Pflanzenfresser:innen und ich wollte meine Gastgeber*innen nicht mit der Frage nach einem Snack in Form einer Maus brüskieren. Und mich einfach an Ort und Stelle zusammenzurollen und ein Nickerchen zu machen, wäre vermutlich genauso unhöflich. Doch Hornveilchen kam mir unerwartet zur Hilfe, während ich noch nach einer Antwort suchte.
„Also, Leute, bevor wir Merlin jetzt über die Insel schleifen, sollten wir ihm erstmal was zu essen besorgen und ihn etwas ausruhen lassen. Ich meine, er ist auf DOROTHEA gereist. Da brauch jede*r erst mal eine Stärkung. – Mach es dir gemütlich, ich versuche ne Maus aufzutreiben.“ Bei den letzten Worten deutete er auf die Nester, rund um das Feuer, offenbar die Schlafstellen der Drachen. Dankbar kuschelte ich mich in eins, während Hornveilchen zwischen den Bäumen verschwand.
„Ihr kennt Dorothea?“, erkundigte ich mich bei den anderen, während ich mich ein wenig putzte.
„Alle kennen Dorothea“, lachte Gänseblümchen. „Die ist echt speziell. Und dann dieses Siezen!“
„Warum macht sie das eigentlich?“
„Keine Ahnung. Irgendein:e Passagier*in, die*er lange in der Menschenwelt gelebt hat, hat ihr wohl mal erzählt, dass sich Fremde dort zum Teil siezen. Und sie fand das irgendwie schick. Sie drückt sich ja sowieso gern gestelzt aus und tut so, als sei sie was Besseres. Und immer zickig. Schon erstaunlich, dass sie einen so großartigen Sohn hat.“
„Ja, Jippie ist cool“, murmelte ich noch und dann fielen mir die Augen zu.
Ich erwachte von leisem Rufen und Gekicher der Drachengang. Für einen Moment war ich etwas verwirrt, so tief hatte ich geschlafen. Doch nachdem ich mich ausgiebig gestreckt und geputzt hatte, fühlte ich mich so erholt wie schon lange nicht mehr. Neben mir lagen tatsächlich einige Snacks, geröstet, wie ich feststellte.
„Hey, du bist ja wach“, bemerkte Gänseblümchen erfreut. „Magst du beim Nachmittagstraining zugucken?“
Nur zu gern! Während ich genüsslich kaute, führten mir die kleinen Drachen ihre Fähigkeiten vor:
Zunächst trainierte sie alle zusammen. Sie starteten fast synchron senkrecht in die Luft, flogen ihre Bahnen und Loopings, machten Vollbremsungen, übten Steilflug und spien Feuer in die Luft. Ein fantastisches Schauspiel. Und sie waren schnell und zwar alle, das zeigte mir ein Wettfliegen, das quasi unentschieden ausging.
Dann landete Wasserlilie vor mir: „Schau mal, ich kann was, was die anderen nicht können!“ Sie atmete tief ein, reckte den Kopf in die Höhe und spie eine Wasserfontäne, mit der eins locker ein brennendes Hochhaus hätte löschen, gen Himmel.
„Klasse, oder?“ Sie sah mich stolz an.
„Sehr klasse“, bestätigte ich beeindruckt.
„Hornveilchen, zeig Merlin, was du kannst“, rief sie ihrem und Gänseblümchens katzenartigen Bruder zu.
„Okidoki“, auch Hornveilchen landete vor mir und begann herumzuwirbeln. Tritte und Schläge in die Luft, Pirouetten, Sprünge – eine Mischung aus Karate (oder Kungfu oder so) und Akrobatik.
„Er ist der beste Nahkämpfer unter allen Drachen. Sogar besser als die großen. Weil er so wendig ist“, erklärte mir Wasserlilie, die sich neben mich gesetzt hatte – und ihren Bruder ganz eindeutig sehr bewunderte. Sah aber wirklich beeindruckend aus.
„Jetzt ich“, lachte Mittagsblume. Sie stand bereits neben einem der Bäume, holte Schwung mit ihrem Schwanz und fällte damit geradezu lässig den riesigen Baum. Doch damit nicht genug. Im Fallen fing sie ihn mit den Vorderbeinen auf und warf ihn zielgenau Richtung Feuerstelle, begleitet von einem „Achtung, Leute!“.
Wir sprangen alle rechtzeitig zur Seite, während Mittagsblume zufrieden feststellte: „Schätze, damit haben wir genug Feuerholz für die nächsten Monate.“
Uff. Ja, das mit Sicherheit. Unfassbar, wie stark Mittagsblume war. Aber die Nummer mit dem Baumstammwerfen? Für Lia definitiv gestrichen. Zu aufregend.
Ich sah Sonnenblume an: „Und du?“
Der rote Drache mit dem grünen Bauch wurde im Gesicht noch etwas röter. „Ach, ich bin mehr so der Künstler.“
„Ein außergewöhnlicher Künstler“, korrigierte Wasserlilie ihn. Der Blick, den sie ihm dabei zuwarf, hatte große Ähnlichkeiten mit dem, mit dem Snowflake JP ansah (=> 11. Snowflake in Not und 12. Jean-Pauls Geschichte). Schätze, sie war ein wenig in ihn verschossen.
„Los! Mach schon!“, drängte sie Sonnenblume, der sich nicht länger bitten ließ.
Er stellte sich aufrecht hin, schloss die Augen und schnippte mit den Fingern. Wie aus dem Nichts erklang Musik, ich denke, ihr würdet es als Moderne Klassik bezeichnen. Ich kenne mich da nicht so aus. Dann erhob er sich knapp über den Boden, immer noch aufrecht, und begann zu tanzen. Dieser Drache konnte wahrlich Ballett. Unfassbar. Mir klappte die Kinnlade herunter. Doch damit nicht genug. Während er sich zur Musik bewegte, glitt seine Schwanzspitze über den Boden und … Wow! Erst traute ich meinen Augen nicht, aber tatsächlich zeichnete er etwas in den Boden. Einen Drachen, der flog – und auf dem ein kleiner Kater saß. Wie reizend! Als das Bild fertig war, landete er und verbeugte sich vor mir lachend:
„Wie du siehst, nicht wirklich nützlich, sollte ich einmal kämpfen müssen. Aber es macht Spaß“, mit einem weiteren Schnipsen stellte er die Musik ab.
„Hammer!“, mehr als dieses Wort, das Ricky gerne benutzt, wenn sie etwas total beeindruckt, bekam ich vor lauter Staunen nicht raus.
Dann fiel mein Blick auf Gänseblümchen.
„Guck mich nicht an. Ich kann nichts Besonderes. Durchschnitt in allem und nichts. Fliegen, schwimmen, Feuer spucken. Die Basics halt.“
„Jetzt stapel mal nicht so tief, bester Freund“, Sonnenblume sah Gänseblümchen streng an. „Du bist der liebste und einfühlsamste Drache, den ich kenne. Du bist freundlich, clever. Belesen. Und der treueste Freund, den sich ein Drache nur wünschen kann.“
Die anderen kleinen Drachen nickten bestätigend.
„Naja“, murmelte Gänseblümchen etwas verlegen und erinnerte mich für einen Moment an Snowflake, wie er so auf den Boden schaute. Ich fühlte sehr, was ihn bewegte, kenne ich das Problem, alles ein bisschen, aber nichts herausragend zu können, doch nur allzu gut. Etwas, was mich sehr mit Anna verbindet, die das allzu oft ähnlich fühlt. Aber ganz ehrlich, meine zauberhaften Leser*innen, das ist mehr als genug. Und das sagte ich jetzt auch Gänseblümchen, der mich dankbar anlächelte.
Dann ging er zur Tagesordnung über: „Es wird bald dunkel. Ich denke, wir lassen das Schwimmtraining heute ausfallen und machen mit Merlin lieber einen Rundflug über die Insel.“
Inklusive mir stimmten alle begeistert zu und dieses Mal kletterte ich schon fast wie ein Profi auf Gänseblümchen.
Die Insel ist hübsch, aber eher unspektakulär. Vor allem Wald mit ein paar Wiesen und Lichtungen dazwischen. Spannender fand ich, dass ich noch etliche andere Mini-Drachen entdeckte und sie mit ihren Kumpels beim Training oder Alltagsaufgaben wie Feuermachen beobachten konnte. Jeder Drache sah anders aus. Gänseblümchen erklärte mir, dass sie immer in Gruppen leben, zu viert oder fünft, die einzelnen Gruppen untereinander sich aber sehr wohlgesonnen sind. Ich war mir sicher, dass Lia die Reise in der Fantasie gut gefallen würde, denn das Fliegen war eine grandiose Erfahrung. Ich kann mich da echt nur wiederholen.
Schließlich landeten wir wieder. Hornveilchen organisierte mir netterweise noch ein paar Snacks und röstete diese am Lagerfeuer. Ich probierte die flambierten Pflanzen, die die Drachen aßen, aber das war nicht so richtig meins. Katzen sind halt leider Fleischfresser*innen. Dann schlummerte ich an Gänseblümchen gekuschelt ein. Drachen sind so schön warm. Miau.
Am nächsten Morgen flog mich Gänseblümchen, begleitet von Hornveilchen, zurück zu dem Strand, an dem meine Reise begonnen hatte. Ich wäre gern noch geblieben, wollte aber in Anbetracht der Situation zu Hause auch so schnell wie möglich zu Anna, Lia und den anderen zurück.
„Würde mich freuen, dich irgendwann mal wiederzusehen“, sagte Gänseblümchen zum Abschied, als ich wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte.
„Sehr gern! Und dann zeige dir den Zauberwald!“ Auch ich würde mich über eine Wiederbegegnung mit diesen zauberhaften kleinen Drachen sehr freuen.
Wir drückten kurz unsere Nasen aneinander, so begrüßen und verabschieden sich Drachen, dann erhoben sich die zwei in die Luft. Einen Moment lang sah ich ihnen noch hinterher, wie sie über dem Ozean von dannen zogen, dann konzentrierte ich mich und sprang durch die Dimensionen direkt in Annas Bett.
Nachdem ich mich ausgeschlafen hatte, kuschelte ich mich an Lia und gemeinsam reisten wir noch einmal in der Fantasie zu den Drachen. Und noch mal. Und noch mal, so begeistert war sie von Jippie und Flying Blue, noch begeisterter vom Fliegen auf Hornveilchen und unendlich bezaubert von den Mini-Drachen.
Die Ängste blieben trotzdem, genau wie die vertrackte Situation. Aber Lia fand zwischendrin immer wieder ein wenig Ruhe. Selbst magische Tiere können das Leben nicht einfach schön zaubern. Aber sie können helfen, durchzuatmen und Kraft zu tanken. Und genau darum geht es, wenn das Leben mal wieder auf dem Kopf steht. Miau.
So, meine zauberhaften Leser*innen, ich hoffe, auch ihr habt den Kopf durch diese Geschichte ein wenig frei bekommen. Wie immer würde ich mich sehr freuen, wenn ihr mir hier oder auf meines Social Media Accounts einen Kommentar hinterlassen würdet, wenn euch die Geschichte gefallen hat oder ihr Anregungen habt.
Wir lesen uns.
Es grüßt euch herzlich euer magischer Kater Merlin.
Hartmut (Sonntag, 22 September 2024 15:00)
Hallo Merlin,
ja, ich würde wie Lia immer wieder und wieder so einen Urlaub gerne machen. Es war eine wunderschöne Geschichte, die in der Fantasie noch viel schöner ist, als man sich das eigentlich vorstellen kann, was du so geschrieben hast. Und natürlich, wie auch im realen Leben, gibt es immer eine Dorothea, die, sagen wir mal, sehr korrekt ist, und einen Sohn, der sehr lieb, offen und etwas flippig ist. Der Name Jippie ist deutlich besser als Olaf. Aber schließlich hat er den Namen von Dorothea bekommen.
Diese Insel muss wunderwunderschön sein, und die Mini-Drachen, wenn man sich die Bilder anschaut, sind so toll, alle. Eine neue Freundin hast du ja nun auch: Gänseblümchen.
Und das, was bei deinen Geschichten immer wieder sehr schön ist: Sie enden nicht traurig und auch nicht glücklich, sondern immer etwas dazwischen. Es ist schön, dass Lia zwischenzeitlich auch etwas zur Ruhe gekommen ist. Aber in all deinen Geschichten schreibst du immer wieder über die Situation von Anna und den Innenpersonen mit einer DIS. Du zeigst hier immer wieder kleine Einblicke in den Alltag von Anna und Co. sowie von dir. Auch wenn nicht alle vergleichbar mit einer DIS sind, weil alle Menschen nicht gleich sind, macht es deutlich, wie schwierig sie es haben. Was für mich eine Kleinigkeit ist, kann für Anna und Co. ein Tsunami sein.
Man sollte sich kurz fassen. Ja, und jetzt auf zum ganz neuen Kapitel (22.09.2024). Viele Grüße an Anna und Co. und natürlich Spring, an Lia und – wenn du sie siehst auch an– Gänseblümchen.�
Jule (Mittwoch, 17 April 2024 18:12)
Lieber Merlin. Die Bilder zu deiner Geschichte sind so toll, dass man sich die Dracheninseln noch besser vorstellen kann. Mir hat es ganz besonders Mittagsblume angetan. Danke für die Geschichte.
firefly (Sonntag, 14 April 2024 13:44)
eine geschichte wie ein kleiner urlaub - so schön. auszeiten, pausen, gut zu sich sein - das müssen wir ohne magische tiere leider selbst hinbekommen
@energiepirat (Sonntag, 14 April 2024 13:05)
Eine Landung im Meer? Ein Horror für eine Katz.! Und dann noch das salzige Wassser. Bäh! Aber zum Glück schmeckst Du dem Ozean auch nicht und wurdest gleich an Land gespült. Aber als Entschädigung gibt einen paradiesischen Strand! Wie schön! Das ist wie eine herrliche Urlaubsresise.
So ein schöner Ausflug in einen virtuellen Urlaub! Wunderbar!
Warum aber ein lustiger, freundlicher und aktiver Delphin Olaf heißt, ist mir ein Rätsel. Wenn ich den ansehe, der anderswo zur Zeit deinen Bundeskanzler gibt.
Aber zurück zur Geschichte. Das hat mir gut gefallen. Jeztzt hab eich einen kurzen Urlaub geschenkt bekommen. Und sei es nur in Gedanken.
Vielen Dank